Mit Wärmeabstrahlung Wassereintritte detektieren

Fokus Technik

Mit Wärmeabstrahlung Wassereintritte detektieren

5. Januar 2020 autoberufe.ch – Moderne Fahrzeuge werden technisch immer komplexer. Über 120 Steuergeräte, eine Vielzahl von Kabelbäumen, aber auch neue Werkstoffpaarungen können im Werkstattalltag für Ärger sorgen: Schläft ein Steuergerät bei abgeschlossenem Fahrzeug nicht ein, entlädt sich die Starterbatterie, oder tritt irgendwo Wasser ein, wird der Innenraum feucht. Für beide Fälle und weitere Anwendungen gibt es eine neue Diagnosemöglichkeit: Thermografie. Wie auch beim Oszilloskop will der Umgang mit einer Wärmebildkamera instruiert und geübt sein. Beat Weingartner hat sich auf diesem Gebiet spezialisiert. AUTOINSIDE war zu Besuch beim Diagnoseprofi.


Die Diagnose im Fahrzeug mittels Thermografie ist für Beat Weingartner, Inhaber und Instruktor bei der Firma Lehrstellen Coaching, eine smarte Möglichkeit, vielen Kundenreklamationen auf die Spur zu kommen. Seine Kurse leben von Theorie gepaart mit hoher Praxisanbindung.

se. Die Thermografie kommt in vielen Anwendungen zum Zuge: Von der Wärmeisolation von Gebäuden bis zur Lackdickenmessung an Fahrzeugen kann die Messung der Wärmeabstrahlung genutzt werden. Für Beat Weingartner, Inhaber und Instruktor der Firma Lehrstellen Coaching, ist die Thermografie eine neue Diagnosemöglichkeit, deren Anwendung in der Garage bisher zu wenig bekannt und eingesetzt wurde. «Im Werkstatteinsatz ist es aber gar nicht so einfach, die Wärmeenergieabstrahlung von Bauteilen zu visualisieren und zu deuten», sagt der Experte und ergänzt: «Eine Wärmebildkamera anzuschaffen ohne das Verständnis für das Messprinzip, macht keinen Sinn.»  

Um die Diagnosemöglichkeit durch Wärmeabstrahlung im Werkstattalltag einsetzen zu können, ist also zuerst Fachwissen nötig, um den Wärmetransport und optische Sichtbarkeitsmachung von Wärmeenergie zu verstehen. Daraus leiten sich automatisch Einschränkungen, Fehlinterpretationen aber auch sinnvolle Anwendungen ab. Wer bei Weingartner einen Kurs bucht, wird zuerst in einer kurzen Theorie, gespickt mit Laborversuchen, in die Geheimnisse des Messverfahrens eingeweiht, um danach in einem Praxisblock den Einsatz von Wärmebildkameras in Werkstattsituationen zu trainieren.

Im Gegensatz zur Temperaturmessung mittels Fühler ist die Sichtbarmachung von Wärmeenergie in vielen Fällen besser. Bei der Kontaktmessung muss der Wärmetransport zum Fühlersensor abgewartet werden. Ähnlich wie beim Fiebermessen mittels Temperatursensor dauert es eine gewisse Zeit, bis der Sensor den effektiven Wert angibt. Die kontaktlose Temperaturmessung mittels Thermografie ist blitzschnell, gefahrlos und selbst bewegte Teile sind messbar.

Dabei unterscheiden sich berührungslose Temperaturmessgeräte von Wärmebildkameras einzig durch die Anzahl der Pixel. Eine einfache Temperaturmesspistole hat einen einzigen Wärmebildpunkt. Je mehr Pixel vorhanden sind, desto höher aufgelöste Wärmebilder mit optischer Lokalisierung der Teile sind möglich. Konsequenterweise steigt dann auch der Preis der Wärmebildkamera.

Die Messung mit Wärmebildkamera hat Einschränkungen, die der Werkstattmitarbeiter vor dem Einsatz kennen muss. Ansonsten läuft er Gefahr, Fehldiagnosen zu stellen und dem Fehler nicht zielgerichtet auf die Spur zu kommen. Im Fokus steht bei der Thermografie eine Herausforderung: Eine Wärmebildkamera kann nicht nur Temperaturunterschiede sichtbar machen, sie zeigt auch reflektierte Wärmeenergie an.

Um dies zu verstehen und an Praxisbeispielen zu erörtern, nutzt Pädagoge Weingartner einfache Versuche. Wird ein Aluminiumblech mit einer dahinter versteckten Kerze erwärmt, ist diese Wärme mit der Wärmebildkamera fast nicht zu sehen. Das Aluminium spiegelt vor allem die Wärme der Umgebung. Die Messung hat so keine Aussagekraft. Wird die Oberfläche allerdings mit einem Kreidespray besprüht oder mit Textilaufklebern mit rauer Oberfläche beklebt, wird die Wärmeabstrahlung messbar und das Resultat nicht mehr von der Umgebung zu stark beeinflusst. Weingartner spricht in diesem Zusammenhang vom Emissionsgrad. Je kleiner dieser ist, desto weniger gut können Temperaturunterschiede visualisiert werden.

Praxisbezug: Aluminiumleitungen der Klimaanlage lassen sich nicht mittels Wärmebildkamera diagnostizieren. Zuerst müssen die Leitungen mit dem abwaschbaren Kreidelack versehen werden, um Temperaturdifferenzen und Messungen durchführen zu können. Wird allerdings ein Stromkabel ins Visier genommen, so hat der Kunststoff doch einen höheren Emissionsgrad und die Kabelerwärmung durch Stromfluss kann sichtbar gemacht werden. «Der umweltfreundliche und abwaschbare Kreidespray erfüllt genau die Bedingungen, um im Werkstattalltag als Diagnoseunterstützer eingesetzt zu werden», sagt Weingartner.

Die grösste Herausforderung stellen diese Wärmereflexionen dar. Am Beispiel einer warmen Bremsscheibe konnte Weingartner beweisen, dass nicht die Scheibentemperatur gemessen wird, sondern die Abkühlung oder Erwärmung durch den Himmel (Weltall, Sonneneinstrahlung). Wärmereflexionen lassen sich herausfinden, in dem wie beim Licht der Einfallswinkel gleich dem Ausfallswinkel entspricht. Konkret: Wird ein Wärmepunkt entdeckt, reicht das Schwenken der Wärmebildkamera radial ums Objekt. Wandert der Punkt, so handelt es sich um eine hinter der Wärmebildkamera angeordnete Wärmequelle, welche die Energie am Messobjekt zurückstrahlt. Bleibt der Messpunkt trotz Bewegung an Ort, so wird die Wärme an diesem Punkt abgestrahlt.

Verblüffend: Wasser lässt sich aufgrund seines hohen Emissionsgrades sehr gut messen. Befindet sich Wasser in einer dunkel eingefärbten PET-Flasche, so kann der Füllgrad bestimmt werden. Entsprechend können in Treibstoffbehältern der Benzin- oder Dieselfüllgrad bestimmt werden, um die Information der Tankanzeige zu prüfen. Je heller und glatter eine Messoberfläche ist, desto grösser ist die Gefahr, die Wärmereflektion der Umgebung zu messen als die eigentliche Wärmeabstrahlung.

Eine weitere, verblüffende Tatsache: Eine russende Kerze ist mit einer Wärmebildkamera messbar. Russt sie nicht, kann die Wärmeabstrahlung in der Luft nicht festgestellt werden. Diese Tatsache stellt auch Feuerwehren vor grosse Herausforderungen. Diese nutzen Wärmebildkameras, um Glutnester nach dem Löschen zu detektieren und ein Wiederaufflammen des Brandes zu unterbinden.

Nebst dem theoretischen Wissen, was gemessen werden kann und was nicht, ist die Handhabung der Wärmebildkamera wichtig. Für Weingartner sind für Diagnosearbeiten die Kameras des amerikanischen Herstellers Flir von Vorteil. Hier lassen sich die Bildgebung, aber auch weitere Einstellungen komfortabel vornehmen. Wichtig: Mit Wärmebildkameras nie gegen das Sonnenlicht messen (Zerstörung der Infrarotsensoren/-pixel) und die Kameraöffnung nicht mit den Fingern berühren.

Anhand von praxisbezogenen Beispielen wie Wassereintritt können die Kursteilnehmenden live erfahren, wie vorzugehen ist. Schon kleinste Mengen Wasser sorgen für eine geänderte Wärmeabstrahlung (auch von Innenraumteppichen) und somit wird die Suche nach der Stelle des Wassereintritts deutlich vereinfacht. Auch Firmen sind unterdessen begeistert von Weingartners Know-how und Wissenstransfer: Eine Linienbusfirma musste bin anhin bei thermischen Problemen die Ladeluftkühler ausbauen, um die Kühler zu prüfen. Jetzt scannt ein Werkstattmitarbeiter den Ladeluftkühler und kann über die Abstrahlung der dahinter verbauten Kühler blitzschnell diagnostizieren, ob und welche Kühlkanäle verstopft sind. Die Investition in Hardware und Ausbildung haben sich dort schon mehrfach gelohnt.
 

 

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Sitzheizung
Beim Totalausfall der Sitzheizung ist die Diagnose rasch erledigt. Sind allerdings partiell parallel geschaltete Heizdrähte nicht aktiv, reklamiert der Kunde eine ungenügende Heizleistung. Mittels Wärmebildkamera kann kurz nach dem Einschalten die Temperaturdifferenz zwischen Sitz und Heizdrähten sichtbar gemacht und können Partien erkannt werden, wo die Heizmatte allenfalls defekt ist. Bei Stoffsitzen funktioniert die Diagnose hervorragend. Bei Ledersitzen ist die Temperaturdifferenz etwas diffuser, aber ebenfalls deutlich sichtbar.






Wassereintritt
Wassereintritte gehören zum Aufwändigsten im Diagnosebereich. Oft sammelt sich das Wasser im Fussraum. Die undichte Stelle befindet sich aber irgendwo. Das eingetretene Wasser (zum Beispiel Frontscheibe) kann an Blechen innerhalb des Fahrzeuges weitergeleitet werden und sammelt sich an einer anderen Ecke. Mit der Wärmebildkamera kann durch die Abkühlung der Umgebung auch hinter einem Blech das Wasser sichtbar gemacht werden. Auch mit warmem Wasser im Waschraum wird die Eintrittsstelle rasch lokalisiert.






Magnetventil – Windungsschluss
Moderne Fahrzeugsysteme werden oft elektrisch angesteuert. Ein Relais steuert einen Laststrom, ein Magnetventil lässt ein anderes Medium wie Öl, Benzin, Diesel oder Ansaugluft passieren oder nicht. Mittels Thermografie kann der Windungsschluss optisch sichtbar gemacht werden. Durch die fehlende Isolation der Kupferdrähte einer Spule wird der Widerstand verkleinert, es fliesst deutlich mehr Strom und das Magnetventil wird heiss. Das Ventil kann durch das verringerte Magnetfeld sporadisch seinen Dienst quittieren oder ausfallen.






Teilverstopfter Kühler
Schon bei einem Linienbusunternehmen erfolgreich in der Werkstattpraxis eingesetzt. Immer wieder verstopfen Kühler über die Betriebsdauer, insbesondere im Sommer droht eine Überhitzung des Verbrennungsmotors. Mittels Thermografie kann ohne Ausbau des Kühlers dessen Kühlleistung visualisiert werden. Im dunklen Bereich ist der Kühler verstopft. Die heisse Flüssigkeit kann nicht zirkulieren und die Wärme des Motors an die Umgebung abgeben. Im rot eingefärbten Bereich ist die Kühlung intakt. Diese Diagnose spart viel Arbeitszeit.






Zellendefekt in einem Akku
Starterbatterien werden in modernen Fahrzeugen immer mehr gefordert (Start-Stopp-Systeme) und in Hybrid-, Plug-in-Hybridfahrzeugen und batterieelektrischen Fahrzeugen BEV kommen Hochvoltakkus mit vielen Zellen zum Einsatz. Mittels Thermografie kann beim Laden oder Entladen ein Zellenschluss visualisiert werden. Durch den höheren Widerstand der Platten werden Partien wärmer als andere. Im Bild ist ein erwärmtes Akkupaket durch die Bodenabdeckung hindurch gut erkennbar.






Riemenschlupf am Alternator
Viele Nebenaggregate werden nach wie vor via Keilrippenriemen von der Kurbelwelle angetrieben. Nach dem Riemenwechsel ist es schwierig, dessen optimale Vorspannung genau zu bestimmen. Wird er zu stark vorgespannt, können Lager von Nebenaggregaten ihren Dienst quittieren. Wird der Riemen zu lose verbaut, droht ein zu grosser Schlupf. Mittels Thermografie kann die Vorspannung durch Belastung des Alternators überprüft werden. Ist der Schlupf zu gross, erwärmt sich das Alternatorpouli übermässig.
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